Genazino, Wilhelm: Ein Regenschirm für diesen Tag
dtv Verlag
erschienen: 2003
ISBN: 978-3-423-13072-1
Taschenbuch
174 Seiten
Preis: 11,00 EUR

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Genazino, Wilhelm


Ein Regenschirm für diesen Tag


Roman


Wilhelm Genazino, Georg-Büchner-Preisträger 2004, sagt in einem Interview anlässlich der Preisverleihung: „Das Scheitern zeigt die Authentizität des Menschen, die Vielfalt seiner Anstrengungen, von der wir normalerweise die Aufmerksamkeit abziehen. Wir schauen uns nur an, was beeindruckt, und wir vergessen dabei die zahllosen Anläufe, die notwendig sind, um etwas Gelungenes zustande zu bringen.“

In seinem Roman „Ein Regenschirm für diesen Tag“ streift ein sechsundvierzig Jahre alter Mann durch die Stadt, dessen Leben an vielen Stellen scheitert: Er hat das Gefühl „ohne innere Genehmigung“ zu leben und nur bei seiner Freundin Lisa konnte er Verständnis finden – aber sie hat ihn vor zwei Monaten verlassen. Er verdient seit Jahren wenig Geld als Tester von Luxus-Schuhen – aber der Lohn dafür wird plötzlich drastisch reduziert. Zu regelmäßiger Arbeit war er bisher nicht in der Lage und er lebt als gesellschaftlicher Außenseiter. Tiefe Gefühle und menschliche Nähe versucht er zu vermeiden, um mit seinem Alltag einigermaßen zurecht zu kommen. Sein Leben besteht hauptsächlich aus aufmerksamen Beobachten und Nachdenken über sich, die Menschen, die er sieht und die „Gesamtmerkwürdigkeit allen Lebens“. Einerseits versinkt er so sehr in seinen Gedanken, dass er fürchtet in eine „Lügenheilanstalt“ eingeliefert zu werden. Andererseits weiß er, dass das viele Nachdenken ihn am Leben hindert und kommentiert die sich verselbständigenden Gedanken aus ironischer Distanz.

Bei seinen Streifzügen begegnet er körperlich und seelisch Behinderten und sieht, was unerfüllte Träume mit den Menschen machen. Er erkennt wie sie versuchen, Normalität dazustellen, wie sie aber gleichzeitig am Mittelmaß und an der Langeweile leiden. Viele können nicht mehr zwischen Darstellung und wirklichem Leben unterscheiden.
Eine Wendung erfährt sein Leben, als er bei einer Party im Spaß von seinem (nicht existierenden) „Institut für Gedächtnis- und Erlebniskunst“ erzählt, das angeblich denen hilft, deren „Leben nichts als ein langgezogener Regentag geworden ist“. Als sich daraufhin eine Frau von ihm beraten lässt, bringt er sie dazu, zum ersten Mal das zu sagen, was sie wirklich denkt. Und er sieht, dass andere noch existenzieller scheitern als er und kann wieder weinen.

Der Ich-Erzähler wird Sie mit seiner Melancholie anrühren, ohne Sie in Verzweiflung zu stürzen. So fern seine Lebensgestaltung auch ist, so nahe gehen doch einzelne seiner philosophischen Gedanken.

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