Forte, Dieter: Auf der anderen Seite der Welt
Fischer Taschenbuch Verlag
erschienen: 2006
ISBN: 978-3-596-17130-9
Taschenbuch
352 Seiten
Preis: 9,95 EUR

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Forte, Dieter


Auf der anderen Seite der Welt


Roman


Die Handlung dieses Romans ist auf den ersten Blick eine Mischung aus Thomas Manns „Zauberberg“ und den Nachkriegsromanen des von mir sehr verehrten Wolfgang Koeppen: In den fünfziger Jahren reist ein schwer lungenkranker junger Mann in ein Sanatorium auf eine abgelegene deutsche Nordseeinsel. Es ist unklar, wie lange er dort bleiben muss und ob er die Krankheit überleben wird. In dieser fernen Welt sind sein Erinnern an die Zeit zwischen Krieg und Wirtschaftswunder sowie die Erzählungen seiner Leidensgenossen das Mittel, um sich von Tag zu Tag zu retten. Fern ab der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die die Vergangenheit vergessen will und ihr Glück nur im materiellen Reichtum sucht, erzählt der junge Mann von sozialen Außenseitern und Menschen, die scheinbar „ganz oben“ angekommen sind – und von den Lebenswegen, die vom einen zum anderen führen.

Warum veröffentlicht ein Autor 2004 ein Buch mit diesem Thema? Sind nicht die Verdrängungsmechanismen der Nachkriegszeit inzwischen ausreichend thematisiert worden? Dieter Forte geht über das vordergründige Thema weit hinaus: Der Erzähler hat durch seine Krankheit und seinen Standort eine ganz eigene, zeitlose Perspektive auf die Gesellschaft. Es ist der klare Blick von außen, der auch durch die Konfrontation mit den Naturgewalten auf der Insel sehr klar das Wesentlich von Schein und „Brimborium“ unterscheiden kann. Hier verlieren Verpflichtungen, Geld, Zeit, Rollenspiele und vermeintliche Sicherheiten ihre Grundlage - jeder ist auf sich reduziert. „Welchen Unsinn hat man getrieben und dabei auch noch gedacht, das wäre Leben. Schade.“ Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird immer wieder gestellt, aber es gibt keine greifbare Antwort, nur ein Ausschlussverfahren, was nicht zur Sinnstiftung taugt. Damit tritt der Autor aus den fünfziger Jahren heraus: Viel von dem, was in der Nachkriegsgesellschaft beobachtet wird, findet heute noch statt: Die politischen Schauspiele, die Schaffung von Bedürfnissen durch Werbung, die Gleichsetzung von Geld mit Glück und die Traumwelten schaffenden Medien.

Es gelingt Dieter Forte, die Suche nach Sinn und Paradies zu umkreisen, ohne Lösungen vorzugeben. Ansatzpunkte könnten liegen in der Suche nach dem eigenen Weg, in Kunst und Musik oder in den Erinnerungen und Erzählungen eines Menschen. Aber auch „die Nichtigkeit des Lebens, dessen Bedeutung niemand verstehen kann“ thematisiert Forte, ohne den Leser / die Leserin in depressive Verzweiflung zu führen. Dazu trägt seine wunderbare Sprachbeherrschung bei, der Wechsel der Perspektiven und der Tempi. Bald hebt sich die Geschichte über den Kranken im Sanatorium hinaus und nimmt uns mit auf einen Flug zu den Fragen, die jeden Menschen bewegen.

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