Nooteboom, Cees: Rituale
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
erschienen: 2006
ISBN: 978-3-518-38946-1
Taschenbuch
233 Seiten
Preis: 10,00 EUR

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Nooteboom, Cees


Rituale


Roman


Marcel Reich-Ranicki sagte zu diesem Buch: „Ein poetischer Roman, in dem die Erotik im Mittelpunkt steht.“ Wir sind also gewarnt, wenn ein an Jahren alter Kritiker im Werk eines Autors in mittleren Jahren (das Buch erschien 1980, als Nooteboom 47 war) dieses zentrale Thema ausmacht. Tatsächlich gehören die entsprechenden Szenen zu den Schwachstellen des Romans und es gibt zum Glück nur wenige davon.

Was „Rituale“ auszeichnet, ist Nootebooms sprachliche Kraft, von der hier auf ein paar Seiten mehr zu finden ist als bei manchen seiner SchriftstellerkollegInnen in ganzen Büchern. Er hat die Fähigkeit, einzelne Szenen so detailliert und sinnlich greifbar zu beschreiben, dass Bilder entstehen, welche die LeserInnen vollständig in die poetische Wirklichkeit mitnehmen. Seine Worte sind der Flügelschlag der Phantasie.
Der Roman spielt zwischen 1953 und 1978 in Amsterdam und im Mittelpunkt steht Inni Wintrop, ein Kunstmensch und Müßiggänger, der nur durch Frauen das Gefühl hat, zu leben. So wie das Leben von Inni aus zusammenhanglosen Ereignissen besteht, werden bestimmte Szenen daraus mit allen Einzelheiten erinnert, während der Zeitverlauf eine unbedeutende Rolle spielt. Wintrops Leben beginnt, als seine Tante Thérèse den jungen Mann ihrem früheren Geliebten Arnold Taads vorstellt. Dieser mag sich selbst und die Menschen nicht, kümmert sich aber dennoch um Inni, fordert ihn nachzudenken und einen Standpunkt zu entwickeln. Zwanzig Jahre später trifft Inni Arnolds Sohn Philip Taads, der von seinem Vater als kleines Kind verlassen wurde und im Rückzug aus der Gesellschaft diesen Verlust tragbar zu machen versucht.

Mit Inni Wintrops Lebensbildern gestaltet Nooteboom die menschliche Erinnerung, ihre Bruchstückhaftigkeit, das Unbeantwortbare im Leben und die Folgen vermisster Elternliebe. Ein zentrales Thema ist die Unfähigkeit, sich auf andere Menschen einzulassen und die daraus resultierenden Versuche, in ritualisierte, einsame Existenzen zu flüchten oder die Rolle eines Zuschauers zu spielen. Aber Nooteboom lehnt nicht nur zwanghaft geregelte Lebensentwürfe ab, sondern auch den falschen Trost, den manche Menschen in Religionen und Sekten suchen.

„Auch später würde noch ein gewisser Unmut in ihm aufkommen im Umgang mit Menschen, die klare und genaue Antworten haben wollten oder so taten, als könnten sie diese geben. Gerade das Rätselhafte an allem machte Spaß, und da sollte man doch nicht versuchen, Ordnung hineinzubringen. Tat man es dennoch, so würde unweigerlich etwas verloren gehen.“

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